Spirituelle Gedanken zum

Jahreslosung-Motiv 2015 „Himmelsleiter“

 

 

Nehmt einander an,

wie Christus euch angenommen hat

zu Gottes Lob.

Röm 15,7

 

Nehmt einander an

Was für eine Herausforderung! Auf der einen Seite ist der Aufruf so urmenschlich selbstverständlich, auf der anderen Seite so unendlich schwer, dass wir dazu eine Aufforderung brauchen. Damals hat der Apostel Paulus die Bitte gegenüber seinen Glaubensbrüdern und -schwestern in Rom formuliert, als es darum ging, einen Streit über verschiedene Glaubensauffassungen zu schlichten. Heute ertönt der Aufruf in einer Zeit der Abgrenzung und Individualisierung. Weil wir es uns finanziell leisten können, vielleicht auch aus Angst vor der zunehmenden Globalisierung. In einer Zeit, in der der Graben zwischen Arm und Reich immer größer wird, immer mehr Menschen aus anderen Ländern, Kulturen und Religionen zu uns flüchten. So werden religiöse Glaubensfragen neu angesprochen, Stärken und Schwächen, vor allem aber das Anders-Sein neu thematisiert. Gleichzeitig geht es um die Einheit der christlichen Glaubensgemeinschaft, aber auch der menschlichen Gemeinschaft. Es geht nicht mehr, dass der eine auf Kosten des anderen lebt. Das bedeutet verstärkt zu suchen, wen wir annehmen und aufnehmen können. Sind es die Andersgläubigen oder Fremden, die Flüchtlinge oder Obdachlosen, die Arbeits- oder Wohlstandsuchenden? Oder in unmittelbarer Nähe jemand in der Familie, am Arbeitsplatz oder in der Nachbarschaft?

 

Christus als Maßstab und Vorbild

Das Denken und Handeln Jesu Christi gibt in unseren menschlichen Auseinandersetzungen Orientierung. Er ist auf alle zugegangen, auf Juden und Heiden, auf Gesunde und Kranke, auf Starke und Schwache. Er hat mit politischen Größen ebenso gesprochen wie mit gesellschaftlich Randständigen und Ausgestoßenen. Er ist uns Maßstab und Vorbild, wie wir einander annehmen sollen. Dies umso mehr, wie er, der wahre, reine, lichte, erhabene Sohn Gottes sich in unsere oft verlogene, unreine, dunkle, erniedrigende Menschengemeinschaft hineinbegeben hat, um uns zu begegnen. Wir sollen einander annehmen ohne Wenn und Aber. Durch Begegnungen auf Augenhöhe, die wertschätzend, erhebend, befreiend und belebend Gutes im Gegenüber bewirken und dadurch Gott loben.

 

Bildgedanken

Eine Menschengruppe nimmt mich als Betrachter in das Bild hinein, in die mystische Schau der mit Licht durchfluteten Leiter, der mit roter Farbe erfüllten Landschaft und dem blauen Himmel darüber. Die Menschen sind von hinten zu sehen, silhouettenhaft, von himmlischem Blau erfüllt und weißen Lichtreflexen gezeichnet. Mitten unter ihnen – sie überragend und über sie hinausgehend – eine Sprossenleiter. Sie schwebt in einem Lichtstrahl und führt geheimnisvoll in die über sie schwebende Wolke. Ich höre Gottes Stimme bei der Verklärung Jesu sprechen: „Dies ist mein geliebter Sohn, […] auf ihn sollt ihr hören.“ (Mt 17,5b) Am Horizont der roten Landschaft – der von Liebe erfüllten Schöpfung – ergießt sich beidseits des Lichtstrahls gelbes Licht über die Hügel. Alles wird gesegnet. Er, der voller Gnade zu uns herabgestiegen ist, sich aus der unzugänglichen Höhe in unsere Tiefen hinab begeben hat, er ist uns gleichzeitig Weg, Brücke, Leiter zum himmlischen Vater. „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater außer durch mich.“ (Joh 14,6) Mit der Leiter im Lichtstrahl klingt auch Christi Himmelfahrt an. Weniger sein Entschwinden in den Himmel als vielmehr seine Verheißung: „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein …“ (Apg 1,8) Transparent auf ihn und seine Zeugen sind wir, wenn „wir untereinander so gesinnt [sind], wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht.“ (Phil 2,5f) Als Zeichen dafür sind die Menschen im Bild in der Farbe des Himmels gemalt, dessen Blau ebenso das Wasser der Taufe erinnert und Symbol für den Glauben und die Treue ist. Gott wohnt in ihnen. Sie sehen die Welt mit den Augen der Liebe, in der Platz für Gastfreundschaft ist, wie die vier gelben Quadrate im violetten Rechteck andeuten mögen. Gibt es etwas Schöneres, als einander anzunehmen, wie Christus uns angenommen hat?

 

© Patrik Scherrer lic. theol. / www.bildimpuls.de